Die Berliner Künstlerin Nicola Rubinstein hat schon vor einigen Jahren die Fotografie als künstlerisches Medium für sich entdeckt. Seitdem sind ihr eine Reihe von Aufsehen erregenden Arbeiten gelungen, von denen "Larven" eine der jüngsten Serien ist. Die Künstlerin fotografierte Kinder, deren Gesichter durch Masken - Repliken historischer Masken aus dem 19. Jahrhundert - halb verdeckt sind. Einen ganz besonderen Reiz erhalten die Fotos durch den Kontrast des kindlichen Gesichts mit der eindringlich blickenden Maske. Die Betrachter werden hineingesogen in eine Welt voller Ernst, Nachdenklichkeit und Trauer. Diese Atmosphäre wird durch den Hintergrund verstärkt. Meist sind es Landschaften, aber gelegentlich auch Muster der Kleidung der Kinder, die die Künstlerin digital bearbeitet ins Bild integriert hat. Jedes Detail ist wohl erwogen und auf die Grundstimmung hin ausgesucht. Auch der Titel "Larven" ist im Deutschen vieldeutig: "Larven" bezeichnet nicht nur Gesichtsmasken sondern auch ein eigenständiges Entwicklungsstadium eines Tieres, z. B. Schmetterlings. Die Kultur des Maskierens, die im Leben der Menschen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch eine große gesellschaftliche Bedeutung hatte, ist in der europäischen Kultur unserer Zeit völlig verschwunden und vielleicht geht gerade deshalb von den maskierten Kindergesichtern diese geheimnisvolle, in ihrer Passivität anklagende Wirkung aus, die fasziniert und zugleich abstößt. Ängste vor dem Unbekannten, Undurchschaubaren, Verborgenen und trotz aller Unschuld Bedrohlichen werden wach. Die Fotografien von Nicola Rubinstein sind packend und der Wirklichkeit entrückt zugleich. Es ist schwer, sich der Wirkung zu entziehen. Die ernsten Gesichter der maskierten Kinder sind traurig anklagend, unerbittlich fragend, entrückt, als würden sie das Ende der Welt schon erblickt haben.
Barbara Barsch, Berlin
Diese Fotos von Kindern mit Masken geben dem Betrachter Rätsel auf. Eher ernst wirken ihre Gesichter bzw. das, was man von ihnen erkennen kann. Für den Betrachter ist es irritierend, wenn nicht verstörend, die Augen, die zu diesem Gesicht gehören, nicht zu sehen. Dadurch, dass sie hinter der Maske verborgen sind, wird die Bedeutung des Blicks für die Annäherung an die Individualität des Kindes noch verstärkt. Die Kinder, die die Künstlerin Nicola Rubinstein in ihrer Serie „Larven“ fotografierte, sind allesamt noch sehr jung, so jung, dass die Maske auch teilweise verbirgt, ob sich ein Mädchen oder ein Junge hinter ihr verbirgt. Aussagekräftiger ist da schon die Kleidung, manchmal auch die Art und Weise, wie das Kind seine Haare trägt. Geschlechtsspezifische Posen gibt es noch nicht. Der Körper ist leicht, die Schultern sind schmal, die Gesichter weich und irgendwie verletzlich. Man würde gerne erfahren, warum das eine Kind ausgerechnet diese Maske trägt und ein anderes Kind jene. Sich zu verkleiden oder zu maskieren ist für Kinder ein lehrreiches Vergnügen. Viele von ihnen schlüpfen gern in eine andere Haut, probieren sich im Spiel aus in wechselnden Rollen. Die Maske entfaltet in diesem Fall jedoch eine Wirkung, die sich unterscheidet von gewöhnlicher Verkleidung. Von ihrer Machart her hochgradig artifiziell, nehmen ihre starren Züge paradoxerweise dennoch den Ausdruck des sichtbaren Teils des Trägers an. Die Kombination einer fremden, eher erwachsenen Physiognomie mit dem kindlichen Gesicht lässt ein neues Mischwesen entstehen. Bei den Masken handelt es sich um Repliken historischer Vorlagen aus dem 19. Jahrhundert. Kulturgeschichtlich hatte die Maskerade damals – etwa im Rahmen von besonderen Festen – noch eine starke Bedeutung. Allerdings war das Tragen von Masken oder Larven eher eine Angelegenheit der Erwachsenen. Unter ihrem Schutz war es möglich, sich unerkannt unter seinesgleichen zu bewegen und anders als sonst zu verhalten. Unter dem Einfluss der Masken posieren auch die Kinder in diesen Bildern und probieren sich in neuen Rollen aus. In manchen Arbeiten der Serie fällt auf, dass sich das Muster des Kleidungsstücks im Hintergrund fortsetzt, so beispielsweise in dem Foto von Junko. In den analogen Bildern von 2005 hat die Künstlerin die Kinder in verschiedenen Landschaften fotografiert. Dadurch werden Anknüpfungspunkte an die klassische Portraittradition (Velazquez, Reynolds) oder die Romantik (Runge berühmtes Portrait von seinen Kindern im Garten) greifbar. Diese Fotografien werden innerlich gehalten durch Fragen aus der Sicht der Fotografin und des Betrachters, gerichtet jeweils an das Kind als Hauptmotiv. Durch die Inszenierung einer ambivalenten Bildrealität, die sich aus Anspielungen konfiguriert, erscheint die Situation im gewählten Ausschnitt konstruiert, ja artifiziell. Um die Larve als Leitmotiv dieser Serie auf symbolischer Ebene zu deuten, bieten sich als Assoziationsfeld für die Sinnbildlichkeit von Larven Momente des Übergangs und der Metamorphose an. Doch wird der Betrachter dieser Ansichten von Kindern mit seinen Fragen und Deutungsversuchen letztlich auf sich zurückgeworfen. Auch wenn alles nach Auflösung drängt und Entlarvung - diese Bilder verharren im Schwebezustand.
Almut Andreae